Gemeinsam mit Katharina Vogt ist Vlada Mättig eine der Köpfe hinter me|sober. Im Herbst 2019 an den Start gegangen berichten sie täglich via ihren Instagram-Channel und auf ihrer Webseite Alltags-Anekdoten, Erkenntnisse, beantworten Fragen und zeigen auf wie ein Leben ohne Alkohol und Sucht aussehen kann. Die Herausforderungen, die zwangsläufig damit einhergehen, wenn man dem Alkohol den Rücken kehrt und wie man diese meistert, begleiten Vlada und Katharina als Sobriety Coaches. Seit Mitte Mai erscheint regelmäßig der neue Podcast von me|sober. – Alkoholkonsum und der nicht selten eingehende Suchtfaktor wird dort mit Gästen aus der Szene besprochen.
Wie bereits mit Roman, vom Podcast Sucht und Ordnung, haben wir Vlada gebeten ihre Perspektive mit uns zu teilen. Auf ihrem Blog Herzsuchtfluss spricht sie offen und ungeschönt über ihre Erfahrung, Beziehung und Abhängigkeit zu Alkohol. Warum sie sich nicht als Alkoholikerin bezeichnet, warum für Frauen der Umgang mit Sucht schwieriger ist und wie sie mit Schlagzeilen umgeht, erzählt sie uns hier. Dass Alkoholsucht unterschiedliche Gewänder trägt beweist Vlada sympathisch mit freudestrahlenden Augen. Danke Vlada für deinen Mut, deine Antizipierung und das du Alkoholsucht ein anderes Gesicht verleihst. Chapeau.
Vlada, wie bist du damit umgegangen, als die BILD Zeitung einen Beitrag über dich & deine Sucht veröffentlicht hat? Vor dem Beitrag und respektive nach der Veröffentlichung?
Als ich zum ersten Mal mit meiner Geschichte rausgegangen bin und meinen Blog veröffentlicht habe, war ich unfassbar nervös, da ich natürlich nicht einschätzen konnte, wie die Menschen darauf reagieren werden. Ich persönlich hätte damit nicht rausgehen können, wäre ich in mir noch unsicher und fragil bezüglich dieser Thematik gewesen. Ich habe den Blog auch nie als »Eigentherapie“« oder so genutzt. Die Therapie habe ich davor gemacht und im Nachgang bin ich damit rausgegangen.
Vor meinem ersten Interview mit der Zeit Online war ich noch sehr, sehr nervös, weil ich nicht wusste, wie das Ganze ablaufen wird und wie die Menschen darauf reagieren werden. Nicht jeder Mensch ist über so einen Artikel vollends begeistert. Ab und an muss ich mich natürlich auch mit kritischen Kommentaren und Nachrichten auseinandersetzen. Das gehört dann einfach mit dazu. Was ich ab und an sehr schwierig finde – was im Beispiel der BILD jetzt nicht der Fall war – ist, wenn meine Geschichte verzerrt wird, nur um eine »funktionierende« Story zu haben. Slogans wie »Ich trank 10 Jahre lang auf der Bürotoilette« oder »Ich war 10 Jahre lang Alkoholikerin und trank extrem viel« entsprechen einfach nicht den Tatsachen und diese finde ich einfach nur fürchterlich, weil sie ja letztendlich wieder das Stigma bedienen, welches wir ja mit unserer Arbeit auflösen möchten.
Nach den meisten Veröffentlichungen bekomme ich dann aber größtenteils Rückmeldungen und Zuschriften von Menschen, die dankbar dafür sind, dass ich mit meiner Geschichte rausgegangen bin und dass ich ihnen Mut mache und auch ein Stück weit dabei helfe, den ersten Schritt in ein nüchternes Leben zu tun.
Verrät man beim ersten Tinder-Date, dass man Alkoholikerin ist? Und wann ist der richtige Zeitpunkt es zu sagen und fühlt es sich an wie eine Beichte?
Ich verrate nie, dass ich Alkoholikerin bin, weil ich mich persönlich nicht als Alkoholikerin bezeichne.;) Der Begriff »Alkoholiker« fungiert eher als Label und ist abschreckend und wie sagt Holly Whitaker so schön »The only label you have is your name!« Ich war abhängig von Alkohol.
In Bezug auf Dating kommt es immer darauf an. So viele Dates hatte ich auch noch nicht, sondern ich taste mich da eher mit Vorsicht heran. Das Ding ist, dass man mich ziemlich easy googeln kann und meine Geschichte schwarz auf weiß zu lesen bekommt. Wenn es zu der Thematik kommt, dann bin ich ehrlich, denn ich habe nichts zu verbergen. Zum einen tue ich mir selbst einen Gefallen, indem ich dann das erste Date in einem Café anstatt in einer Bar verbringe, zum anderen weiß mein Gegenüber auch gleich Bescheid und ich muss mich nicht groß erklären. Ich benutze auch nie Notlügen wie »Ich fahre heute.« oder »Ich nehme Medikamente.« oder dergleichen. Ich trinke keinen Alkohol. Punkt.
Wie reagieren andere Frauen darauf, dass man Alkoholikerin ist?
Wie zuvor schon beschrieben, bezeichne ich mich nicht als Alkoholikerin. Genauso wenig war oder bin ich ja auch Nikotinerin, Kokainerin, Amphetaminerin. Das Wort Alkoholikerin impliziert ja, dass ich erst ein Problem bekommen habe, als ich mein Problem erkannt habe. Sprich: solange ich noch Alkohol getrunken habe, hatte ich kein Problem. Sobald ich für mich festgestellt habe, dass meine Beziehung zu Alkohol ungesund ist, soll ich mich als Alkoholikerin bezeichnen? Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn.
Wenn es aber darum geht, andere Frauen mit dieser Thematik anzusprechen, dann schaffe ich es anderen Frauen Mut zu machen. Bisher hat auch noch nie eine Frau kritisch oder ablehnend reagiert, diese Kommentare/Nachrichten kamen immer von Männern. Frauen schämen sich sehr, wenn sie sich eingestehen müssen, Alkohol zu nutzen, um die eigenen Probleme zu lösen beziehungsweise zu vergessen. Das Thema Abhängigkeit ist so schon sehr schambehaftet, bei Frauen jedoch noch einmal mehr.
Wie kommunizierst du Abhängigkeit an Familie, Partner, Freunde, beim Dating? Was ist die Bandbreite der Reaktionen?
Während meiner Therapie habe ich gelernt, für mich einzustehen und offen und ehrlich zu kommunizieren. Ich schäme mich nicht für meine Geschichte, sondern sie gehört zu mir. Ohne Alkohol führe ich ein leichtes, unbeschwertes und unabhängiges Leben. Mit meiner Familie bin ich sehr offen mit der Thematik umgegangen. Auch meine Freunde haben durch die Bank weg mit Verständnis reagiert. Letztendlich habe ich mich selbst viel mehr verurteilt, als es mein Umfeld ansatzweise getan hat. Alle Freunde sind geblieben und nun sind noch »Sober Buddys« dazugekommen.
Dadurch, dass ich sehr offen mit der Thematik umgehe, komme ich auch nicht in Situationen, in denen ich mich erklären müsste. Was ich beobachte ist eher, dass ich oft nach meinen früheren Trinkmengen gefragt werde, damit mein Gegenüber einen Anhaltspunkt dafür hat, ob sein/ihr eigener Konsum noch im Rahmen liegt, dabei spielt die Menge überhaupt keine Rolle, sondern die Funktion, die Alkohol übernimmt. Selten passiert es auch, dass ich mich in Diskussionen wiederfinde, in denen mir erklärt wird, dass Alkohol schon immer zum Menschsein dazu gehörte. Solche Aussagen langweilen mich mittlerweile. Zigaretten wurde lange Zeit auch als »rauchenswert« vermarktet. Sogar Ärzte haben geraucht und ihren Patienten diese empfohlen. Hätten wir es dabei belassen sollen nur, weil es schon immer so war? Ich finde eher, dass wir Menschen hier auf dieser Welt sind, um unser Leben bewusst zu leben, Dinge in Frage zu stellen und uns weiterzuentwickeln.
»Solange ich noch Alkohol getrunken habe, hatte ich kein Problem. Sobald ich für mich festgestellt habe, dass meine Beziehung zu Alkohol ungesund ist, soll ich mich als Alkoholikerin bezeichnen? Das ergibt für mich überhaupt keinen Sinn.«
Vlada Mättig Gründerin von me|sober.
Über die Autorinnen
me|sober. ist die erste “Sobriety Brand“ Deutschlands und ein Community – Projekt über das moderne Leben ohne Alkohol. Mit dem Projekt wollen sie einen neuen Trend, den es so in Deutschland noch nicht gibt, etablieren. Ihre Mission ist es, niemanden zu belehren, sondern eine Diskussionsgrundlage zu schaffen und einen Raum und Rahmen, in dem es sich gut und richtig anfühlt ein Bewusstsein für ein alkoholfreies beziehungsweise alkoholreduziertes Leben zu schaffen, sodass sich jeder verstanden und willkommen fühlen kann. Zudem bieten sie ein ganz individuelles, auf die Bedürfnisse der Mentees zugeschnittenes Mentoring Programm an.